Die Geschichte des Nerother Bundes
von Karl Oelbermann, veröffentlichin den Nerother Heften 17, 2003,Seite 8 - 14
„Das Leben scheint ein ewiger Kreislauf zu sein, der über Tiefen und Höhen führt. Bei allen Bitterkeiten wird es aber gekrönt durch Schönheit, Liebe und Adel, die es königlich und lebenswert machen. Diese Krone uns zu erwandern und der Welt wiederzuschenken, das ist das letzte Ziel unserer Wanderschaft, die Aufgabe der Jugend. Wahrlich eine köstliche Gabe, die der Menschheit aus jugendlichem Herzen gereicht wird. Möge sie es lernen, aus dieser unversiegbaren Quelle zu schöpfen.“ (Robert Oelbermann)
Der erste Weltkrieg 1914 bis 1918 ging zu Ende mit all den unangenehmen Begleiterscheinungen, die ein verlorener Krieg mit sich bringt. Revolutionsgeschrei, das Zerbrechen aller Ideale, Armut, Aussichtslosigkeit für die Zukunft der heranwachsenden Jugend, Unehrlichkeiten und das Auslebenwollen der Menschen, die im Chaos der neuen, noch nicht gefestigten Republik die schlechtesten Vorbilder gaben, erschreckten das deutsche Volk. Auch ein großer Teil der Jugendbewegung, mürbe und erschöpft, zersplitterte in fruchtlosen Diskussionen und Weltanschauungsstreiten. Das gemeinsame Wandern von Junge3n und Mädchen, das bisher in edler Form und Selbstdisziplin durchgeführt wurde, erlitt einen starken Schock durch die Nachahmungen von Ausflügen durch Fabrikarbeiter aus dem Ruhrgebiet. Mit Gitarren, Mandolinen und grölenden Liedern strolchten die wilden Haufenmit ihren Mädchen durch die Wälder. Der Name Wandervogel war unter das Fußvolk geraten und wurde erbarmungslos von den sogenannten „wilden Horden“ zertreten.
In dieser Zeit wurde Robert Oelbermann zum Gauleiter des Gaues Mittelrhein vom Wandervogel-Bund e.V. gewählt. Robert, ein Kriegsinvalide aus der Sommeschlacht, erkannte, dass noch ein ungebrochener
Beim Rückblick auf unsere Vergangenheit sehen wir, dass der Bundesgründung noch eine Vorgeschichte v vorausgegangen ist. Es sät die Nerommenzeit von der Neujahrsnacht 1919/1920 bis zum ersten Bundestag am 28. März 1921 auf der Pfalz-Drachenburg. In diesen 15 Monaten des „Suchens, Ringens, Wachsens, Erkennens, Erkämpfens“ formte sich unsere Gemeinschaft. In Wochen und Monaten geschah oft mehr, als sonst in Jahrzehnten. In kleinen und kleinsten Kreisen gestaltete sich die Bundesidee mit dem festen Willen, ein der neuen Jugend gemäßes Leben zu schaffen.
Im Ritterheft zum zehnjährigen Bestehen 1920 – 1930 (Herold 13 und 14) berichtet die Bundeschronik:
„Sylvester 1919/1920 findet die erste Nerother Nacht in der einsamen Eifelhöhle bei Neroth statt. Der Oberneromme Robert Oelbermann gründet den Nerommen-Freundeskreis mit folgenden Erznerommen: Lo Keller, Baerens, Knut Kohl, Heini Speicher, Herbert Frank, Artur Samnée und Karl Oelbermann.
Ziel: Erneuerung des alten Wandervogelgedankens von Karl Fischer und Gründung einer Jugendburg als Mittelpunkt eines Jugendreiches mit eigenem Gepräge“.
Im Laufe der kommenden Monate entstand aus diesem engen Freundeskreis eine größere Gemeinschaft von etwa 50 Nerommen, die an nächtlichen Feuern in Ruinen und Höhlen von Robert zum Ritter geschlagen wurden. Es war dies eine Auslese von Wandervögeln der damaligen Wandervogelbünde des E.V., J.W.V. und A.W.V. Durch das rote Ritterbarett bekam diese Schar innerhalb der deutschen Jugendbewegung unter dem Namen „die roten Ritter“ Ruf und Ansehen. Dieser Ritterschaft gelang es im März 1920 auf dem Gautag in Mausauel (Eifel) die Einigung der beiden Rheinlandgaue A.W.V. und E.V. und der übertritt sämtlicher Gruppen in den A.W.V. mit der Gauleiterwahl von Robert. Ein weiteres großes Ziel wurde Wirklichkeit, als Ostern 1921 auf dem Bundestag des Alt-Wandervogels in Bad Sachsa mit Hilfe der Nerommen die Trennung in einen selbständigen Jungenbund und einen selbständigen Mädchenbund durchgeführt wurde. Leider entstand später zwischen dem Bundesführer des A.W.V., Ernst Buske, und dem Gauführer des geeinten Gaues Rheinland, Robert Oelbermann, eine Entfremdung. Durch das starke Eigenleben der Nerommen sah Ernst Buske im Rheinlandgau einen Bund im Bunde, der ihm in seiner Führung nicht passte. Durch die Eifersucht anderer Gauführer während der Abwesenheit Roberts, der auf einer abenteuerlichen viermonatigen Tippelfahrt nach Rom war, wurde die Spannung zu einer Kluft, die sich nicht mehr überbrücken ließ und die schließlich zur Trennung der beiden Richtungen führte. So stand der Freundeskreis der Nerommen bei der Rückkehr von Robert vor einer entscheidenden Aufgabe. Mit Rücksicht auf die Bundesidee löste er sich in der Silvesternacht 1920/21 in der Nerother Höhle selbst auf. Die Silvesternacht 1920/21 wurde zur Sternstunde des Bundes, da hier der Ordensgedanke geboren wurde. Danach schlossen sich verschiedene Ortsgruppen, jetzt „Fähnlein“ genannt, die in enger Verbindung zueinander standen, in Ordensgemeinschaften zusammen. Die Ordensgebiete waren nicht von Landesgrenzen abhängig. Jeder Ordensritter konnte seiner Schar ein eigenes Gepräge geben. Nach diesem ereignisreichen Treffen in der Nerother Höhle begab sich die Ritterschaft mit Robert Oelbermann nach Essen, wo in einem Dachkämmerchen der Essener A.W.V.-Gruppe das Zusammentreffen mit Erst Buske stattfand. Hier wurde eine wahrhaft ritterliche Entscheidung gefällt. Ernst Buske gab Robert das Treueversprechen von Bad Sachsa zurück. Man reichte sich zum Abschied die Hand und schied voneinander, nicht als Gegner, sondern als Diener und Streiter einer Idee, die aber von jedem forderte, eigene Wege zu gehen. Am 28. März 1921 erfolgte auf der Pfalz-Drachenburg die Bundesgründung und der erste Bundestag des Nerother Wandervogels, Deutscher Ritterbund. Der Orden der Rabenklaue mit seinem Ordensritter Karl Oelbermann, der Orden der Werwölfe mit seine Ordensritter Osk Krieger und der Orden der Bockreiter mit seinem Ordensritter Lo Keller leisteten den Bundeseid. Der Begründer des alten Wandervogels, Kar Fischer, hatte seine Schöpfung an die Gestalt der fahrenden Scholaren gebunden. Robert Oelbermann gab seine Jungen das Ritterideal als erstrebenswertes Ziel. Durch die Vorbilder des Rittertums mit seiner Symbolik undRomantik entwickelte sich ein reges Jungenleben. Der Gedanke, sich als Mittelpunkt der Bewegung eine eigene Burg zu erwählen, lag nahe. Schon im März 1920 wurde auf einer burgensuchfahrt von Robert und Karl Oelbermann mit Kurt Lorenz die einsam gelegene Burgruine Schloss Waldeck auf den Höhen des Baybachtales im Hunsrück entdeckt. Am 10. Mai 1922 gründete Kral Oelb dort die erste Bauhütte. Sie spielte von diesem Tag an eine wichtige Rolle in der Bundesgeschichte. Mit der rheinischen Jugendburg Waldeck entstand ein Vorhaben, an dessen Verwirklichung viele Generationen des Bundes nacheinander arbeiten können. So, wie in den Städten des Mittelalters der Bau der Dome die ganze Bürgerschaft über Geschlechterfolgen hinweg miteinander verband, so ist die Burg Waldeck ein Sammelpunkt des Bundes geblieben. Zur Bundesgründung wurden die 5 Weistümer der Nerommen zum Gesetz erhoben, nach denen sich der Bund richtet. Robert brachte im Geleit zum Bundesblatt der Nerother „Die gewappnete Schar“ Heft 2 im Jahre 1923 folgenden Gedanken:
„Wir fühlen uns als gestaltungskräftiger Teil der Jugendbewegung. In uns glüht der Funke, den Karl Fischer in die Jugend geschleudert hat. Das Wandervogelereignis ist uns Aufgabe geworden. Keine steckengebliebene Romantik und keine Reformbestrebung bedeuten uns den Sinn dieser Aufgaben, sondern wir wissen, dass wir einem Geist dienen, der neu geboren wurde durch Liebe und Gefolgschaftstreue, und der getragen wird von einer Gemeinde von Freunden und Kameraden, die ein enges Ordensbündnis geschlossen haben. Diesem neuen Geist zu dienen, ein edles und starkes Jugendreich zu gründen und eine Stätte zu schaffen, in der unsere Sehnsucht Gestalt und Form annimmt, das ist wahrlich eine Aufgabe, die ganze Herzensglut und Energie erfordert; das ist eine Tat, der unsere ganze Schöpferkraft gilt.“
Auf der Indienfahrt 1927 schrieb Robert eine längere Abhandlung, in der er klar die Ziele der Nerother und die der ganzen Jugendbewegung zum Ausdruck brachte. Sie hieß: „Die Idee des Nerother Bundes und der Rheinischen Jugendburg“.
Aus dem Freundeskreis der Nerommen erwuchs im Laufe der Zeit der Nerother Bund mit seinen Orden, Fähnlein und seiner Bundesritterschaft, seinen Abenteuerfahrten durch die ganze Welt und seinen vielen erlebnisriechen Kreuzzügen. Eine fast 14jährige tatenfrohe Bundesgeschichte lag bis zum Jahre 1933 hinter uns. Die Bundesführung wechselte in dieser Zeit nicht. Die Jugendburgidee hatte sich trotz primitiver Anfänge durch die Initiative des Bundes zu einer greifbaren Gestalt durchgerungen. Ideelle und finanzielle Schwierigkeiten waren überwunden. Da brachen mit dem 3. Reich, einer Naturkatastrophe vergleichbar, nicht zu verstehende und nicht vorauszusehende politische Machenschaften gegen Waldeck los. Am 18. Juni 1933 wurden die Baulichkeiten auf dem Turmfeld von SA und Hitler-Jugend besetzt. Während sich der Bundesführer Robert Oelbermann mit einer Nerother Spielschar auf Fahrt rund um den Erdball befand, musste sich der Bund am 22. Juni 1933 mit Rücksicht auf die totalitären Ansprüche des Staates auflösen. Robert wurde mit seiner Schar von seinen Freunden nach Deutschland zurückgerufen. Man knüpfte an ihn die Hoffnung, dass er einen Weg in diesem aussichtslosen Kampf um den Bestand der Idee finden würde. Seine engsten und treuesten Freunde schlossen sich zu der Gefolgschaft Oelb zusammen. Es begann ein mutiges und tapferes Ringen im Kreise dieser Gemeinschaft, die sich mit folgendem Bekenntnis manifestierte:
Bekenntnis: Die am 30. März auf der Rheinischen Jugendburg versammelte Ritterschaft bekennt sich z u den alten Weistümern und zum unsterblichen Wandervogelgedanken. Sie weiß, dass die Bundeschöpfung aus ureigenstem und deutschestem Wesen entstanden ist. Sie weiß, dass nur im engsten Freundeskreise in adliger Gesinnung wertvolle Schöpfungen entstehen können, niemals in einer Massenbewegung. Deshalb will sie einen Orden schaffen, der sich in treuer Gefolgschaft zu Robert bekennt. In den Händen dieser Gefolgschaft ruht die Neugestaltung unseres Gedankens, der den Bau der Jugendburg vollbringt und ihn mit jugendlichem Geist und Leben füllt.
Die Gefolgschaft bekennt sich zum unvergänglichen Geist der deutschen Jugendbewegung und dient in treuer Hingabe dem deutschen Vaterland.
Dies bekunden durch ihre Unterschrift: Es folgen die Namenszüge von Robert und Karl Oelb und der Bundesritterschaft.
Es begann nun eine arge Zeit, eine Zeit der Verfolgung und Verbannung. Tapfer und aufrecht kämpfte Robert. Mit offenem Visier verteidigte er die Burgidee. Wegen der finanziellen Nöte verließ Karl Oelb im Juni 1935 die Heimat, um auf einer Spielfahrt und Filmexpedition durch Afrika neue Mittel für die Burg zu erwerben. Am 13. Februar 1936 holte der Reichsjugendführer Baldur von Schirach zum letzten Schlag aus, der die Vernichtung der „Bündischen Reste“ bedeuten sollte. Robert Oelbermann wurde in „Schutzhaft“ genommen. Er starb nach fünfjähriger Gefangenschaft am 29. März 1941 im Konzentrationslager Dachau. Karl Oelb konnte nicht mehr in die Heimat zurückkehren und musste 15 Jahre ein Emigrantenleben führen.
Die Baulichkeiten auf der Burg wurden im Juni 1837 von der Koblenzer Regierung beschlagnahmt. Blieben unbewohnt und waren dem Zerfall preisgegeben. Das war das äußere Ende des Bundes. Die Nerother Idee aber lebte weiter in kleinen, verborgenen Gemeinschaften bei den Feldsoldaten und im Ausland. – Nach dem 2. Weltkrieg fanden sich die ersten Jungengemeinschaften in Wiesbaden und Köln zusammen. Als Oelb dann im April 1950 nach einer abenteuerlichen Fahrt im Jeep quer durch Afrika zur Burg zurückkam, wurde er froh von alten und jungen Nerothern begrüßt. Die Neugründung des Jungenbundes fand Sylvester 1950/51 in der Nerother Höhle statt. Langsam und stetig entwickelte er sich zu neuer Größe.
Im Jahre 1963 hat sich der Bund wieder voll entfaltet. Er ist fast über die ganze Bundesrepublik verbreitet. Auf Burg Waldeck besitzt er Grundstücke, die zusammen mehr als hundert Morgen ausmachen.
Burg Waldeck, bei Dorweiler im Hunsrück, ist wie früher Sitz der Bundesführung und der Bundeskanzlei. Von hier aus ziehen sich die Fäden zu den Gruppen und in die weite Welt.
Die zweite Burg, Hohlenfels, ist am 6. September 1963 Eigentum des Bundes geworden. Sie liegt im Unterlahnkreis, bei Zollhaus, nicht weit von Limburg an der Lahn. Im Saarland besitzt der Bund in der Nähe von Homburg einen herrlich gelegenen Klosterhof, bei der romantischen Ruine Wörschweiler.
Die Struktur des Nerother Wandervogels ist so geblieben, wie es bei der Bundesgründung im Jahre 1921 festgelegt wurde.
Hier finden die Jungen die Freiheit, die sie haben müssen, um zu gesunden und zu klar denkenden Menschen heranzuwachsen.
Der Nerother Bund mit seinen vier Gemeinschaftskreisen: Jungengbund, Alte Ordensbrüder, Alt-Nerother und Eltern- und Freundesrat (Eufrat), steht heute fest wie in alter Zeit. Er gestaltet seinen Angehörigen ein eigenes Reich im Rahmen seiner Idee.
„…Dieser Bund muss wie ein Kunstwerk sein, etwas in jeder Weise Originales, Einmaliges und Unverwechselbares, dessen Kraft nach außen strahlt und jeden, der empfänglich ist, zuinnerst bewegt.“ (aus einem Brief an Karl Oelb)